Die Europäische Union hat mit der Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EWG (WRRL) ein strenges Schutzregime aufgestellt, das unter anderem eine Verschlechterung der Oberflächen- und Grundwasserkörper verbietet. Wann eine solche Verschlechterung vorliegt, hat der EuGH für die Oberflächengewässer in seinem Weservertiefungs-Urteil vom 01.05.2015 (C-461/13) geklärt. Auf Vorlage des BVerwG hat er nun in seinem Urteil vom 28.05.2020 (C-535/18) die Anforderungen des Verschlechterungsverbots für das Grundwasser präzisiert.

Nach Art. 4 Abs. 1 WRRL müssen die Mitgliedstaaten vorbehaltlich gewisser Ausnahmen die erforderlichen Maßnahmen durchführen, um eine Verschlechterung des Zustands aller Grundwasserkörper zu verhindern. Entsprechendes regelt im deutschen Recht § 47 Abs. 1 WHG.

Der EuGH knüpft erwartungsgemäß an die Grundsätze an, die er im Weservertiefungs-Urteil aufgestellt hat: Das Verschlechterungsverbot ist im Zulassungsverfahren verbindlich. Die Genehmigung eines Vorhabens muss versagt werden, wenn es geeignet ist, den Zustand des Grundwasserkörpers zu verschlechtern, und wenn keine Ausnahme erteilt werden kann (Urteil, Rn. 72 ff.). Das muss vor Erteilung der Genehmigung geprüft werden. Der Vorhabenträger muss in seinen Antragsunterlagen die entsprechenden Angaben machen (Urteil, Rn. 76 ff.). Wenn eine Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen ist, müssen diese Angaben der Öffentlichkeit so zugänglich gemacht werden, dass interessierte Dritte die Einhaltung des Verschlechterungsverbots überprüfen können (Urteil, Rn. 85 ff.). Bei der Prüfung des chemischen Zustands des Grundwasserkörpers sind mehrere Qualitätskomponenten zu berücksichtigen: Salz- oder andere Intrusionen, Schadstoffe, grundwasserabhängige Landökosysteme (Urteil, Rn. 102 ff.). Insbesondere dürfen die Schadstoffkonzentrationen die nach der Grundwasserrichtlinie 2006/118/EG geltenden Umweltqualitätsnormen und die nach dieser Richtlinie von den Mitgliedstaaten festzulegenden Schwellenwerte nicht überschreiten. Insoweit liegt eine Verschlechterung bereits dann vor, wenn ein einziger dieser Grenzwerte überschritten ist (Urteil, Rn. 109). Ist ein solcher Grenzwert bereits überschritten, stellt jede weitere Erhöhung einer Schadstoffkonzentration eine Verschlechterung dar (Urteil, Rn. 110).

Entgegen der Annahme des BVerwG im Vorlagebeschluss und der bisherigen Auffassung in der deutschen Literatur kommt es nach Auffassung des EuGH nicht auf den chemischen Zustand im gesamten Wasserkörper an, sondern auf die Werte der einzelnen Überwachungsstellen. Eine Verschlechterung liegt bereits dann vor, wenn an einer von mehreren Überwachungsstellen eine der zu prüfenden Qualitätskomponenten nicht eingehalten ist (Urteil, Rn. 115). Zwar sieht Nr. 2.4.5 Anhang V WRRL vor, dass zur Einstufung des chemischen Zustands eines Grundwasserkörpers als „gut“ oder „schlecht“ die Ergebnisse der einzelnen Überwachungsstellen eines Wasserkörpers zusammengerechnet werden. Daraus folgt aus Sicht des EuGH jedoch nicht, dass für die Feststellung einer Verschlechterung der gesamte Grundwasserkörper beeinträchtigt sein muss (Urteil, Rn. 112 ff.). Das hat zur Konsequenz, dass bei der Verschlechterungsprüfung § 7 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 GrwV, wonach gewisse Überschreitungen am guten Zustand des Grundwasserkörpers nichts ändern, nicht angewendet werden können.

Das Urteil dürfte dazu führen, dass die Auswirkungen eines Vorhabens auf das Grundwasser künftig stärker hinterfragt werden. Vorhabenträger sind gut beraten, wenn sie derartige Auswirkungen in den Antragsunterlagen angemessen prüfen und dabei die Vorgaben des EuGH beachten. Das gilt auch dann, wenn das Vorhaben nicht unmittelbar auf das Grundwasser zugreift, sondern nur mittelbar Auswirkungen haben kann. In dem dem Urteil des EuGH zugrundeliegenden Verfahren des BVerwG (9 A 16/16) geht es um den Planfeststellungsbeschluss für den Neubau eines Abschnitts der Autobahn A 33. Das im Bereich eines Autobahn­ohrs anfallende Regenwasser soll in das Grundwasser versickert werden. Eine solche Versickerung kann also genügen, um ein Vorhaben am Maßstab des Verschlechterungsverbots zu messen.

Dr. Bernd Schieferdecker
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